Warum Waschbären wirklich nachts in suburbanen Mülltonnen herumwühlen? Ganz einfach. Sie suchen nach Waren für ihren Marktstand, um die erfolgreichsten Händler in „Dale of Merchants“ zu werden. Irgendwer muss diesen überheblichen Aras schließlich zeigen, wo es langgeht. Soll Polly ihren Cracker doch behalten!
Auf dem Marktplatz ist tierisch was los
Wer „Dominion“, „Thunderstone“ oder „Ascension“ kennt, weiß, dass sich schon mit einem einzigen Deckbauspiel unter Umständen Regale füllen lassen. Doch es gibt in diesem Genre nicht nur „höher, schneller, weiter“, sondern auch den gegenläufigen Trend: in den vergangenen Jahren sind eine Reihe kompakter Deckbuilder für die Hosentasche entstanden. Eines dieser Spiele ist „Dale of Merchants“ vom finnischen Designer Sami Laakso.
Achtung: meine Rezension bezieht sich auf die englische Originalausgabe des Spiels. Leider ist bislang keine deutsche Version erschienen.
In „Dale of Merchants“ versuchen wir, uns unseren Platz zwischen all den hohen Tieren (höhö) der Händlergilde zu verdienen. Vor jeder Partie werden je nach Spielerzahl mehrere Tierdecks gemischt (die unsere tierischen Händler und ihre Waren repräsentieren). Aus diesen wird die Marktauslage gebildet (3/4/5 Decks bei 2/3/4 Spielern). Jeder Spieler erhält eine Karte mit Wert „1“ von jedem im Spiel befindlichen Deck sowie genug Gerümpel („Junk“) Karten, um ein Startdeck von zehn Karten zu bilden. Davon ziehen wir dann fünf Karten als Starthand; wie im Deckbaugenre üblich wird stets nur vom eigenen Deck gezogen.
Im Gegensatz zu Vorläufern wie „Dominion“ gibt es jedoch keine speziellen Punktekarten. Stattdessen ist jede Tierkarte potentiell Punkte wert, denn unsere Aufgabe ist es, als erster acht Kartenstapel („stacks“) in unsere Auslage zu legen. Um das zu erreichen, wählen wir in unserem Zug eine von vier Aktionsmöglichkeiten:
- Wir benutzen unsere Handkarten, um eine Karte aus der zentralen Auslage zu kaufen. Kaufkraft und Preis einer Karte sind hierbei ein und dasselbe, allerdings sind Karten teurer, je weiter hinten sie in der Marktauslage liegen. Die neue Karte wandert direkt auf unsere Hand, die verwendeten Karten in unseren Ablagestapel.

- Wir spielen Karten für ihre Kartenfähigkeit („Technique“). Die verwendete Karte wird anschließend in unseren Ablagestapel gelegt. Ist die Karte mit einem „+“ Symbol markiert, dürfen wir danach eine weitere Aktion ausführen.
- Wir legen Karten von unserer Hand ab, um ebenso viele Karten von unserem Deck nachzuziehen. Das ist manchmal unumgänglich, denn nicht genutzte Karten bleiben normalerweise einfach in unserer Hand – wir ziehen am Ende des Zuges nämlich keine fünf neuen Karten, sondern füllen nur unsere Handkarten auf fünf auf.
- Und last but not least: wir legen Karten aus unserer Hand vor uns in unsere Ablage, um nach und nach acht Stapel mit aufsteigendem Wert von eins bis acht zu bilden. Die genutzten Karten müssen alle dem gleichen, farblich gekennzeichneten Tierdeck angehören und dem benötigten Wert des Stapels genau entsprechen. Der Haken an der Sache ist natürlich, dass die Karte unser Deck dauerhaft verlässt und nun nicht mehr zum Kaufen oder für ihre Technik eingesetzt werden kann. Der Spieler, der zuerst acht Stapel fertiggestellt hat, gewinnt das Spiel.
Um unseren dritten Stapel fertigzustellen, können wir entweder die blaue 3 oder die violette 1 und 2 vor uns ablegen. Die „Junk“-Karten nützen uns hierfür nichts.
Die sechs Tierdecks kommen alle mit einem eigenen Schwerpunkt daher: Flughörnchen zum Beispiel brechen die Regeln, nach denen die Kartenstapel gebaut werden, indem sie etwa das sonst wertlose Gerümpel zum Bauen verwenden; Pandas manipulieren die Marktauslage, Chamäleons kopieren die Fähigkeiten anderer Karten und Aras ermöglichen es, an der eigenen Kartenhand herum zu tricksen. Strategischen Spielern könnten zwei der Fraktionen missfallen: die Ozelots bringen eine Menge Chaos (und einen Würfel) ins Spiel, und können die sorgfältigen Pläne der Gegenspieler durch wildes Kartentauschen durchkreuzen; die Waschbären dagegen stehlen ganz gezielt gegnerische Karten oder laden unnützes Gerümpel im Deck der Mitspieler ab.

Für vier Spieler schlägt das Regelbuch eine Teamvariante vor, in der jeweils die gegenübersitzenden Spieler einen gemeinsamen Marktstand ausbauen, wobei hier zehn Stapel an Stelle der gewohnten acht gebaut werden müssen. Spieler können ihren Partner in dessen Zug beim Bilden von Stapeln unterstützen, füllen ihre Hand aber nach wie vor nur nach ihrem Zug auf. Ansonsten ist der Ablauf der Gleiche wie im regulären Spiel.
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„Dale of Merchants“ war unser persönlicher Überraschungshit der letztjährigen SPIEL in Essen. Ich hatte das Spiel überhaupt nicht auf dem Schirm, bis wir zufällig über den Stand des kleinen Verlags Snowdale Design gestolpert sind, und nachdem uns Designer Sami Laakso das Spiel persönlich erklärt hatte, mussten wir es gleich mit nach Hause nehmen.
Erst einmal gefällt mir die liebevolle Gestaltung des Spiels. Die Illustrationen, die übrigens ebenfalls von Designer Sami Laakso stammen, sind wirklich knuffig und geben einem viel genutzten Thema (Händler tun Dinge die Händler so tun) einen unverbrauchten Anstrich. Davon abgesehen ist die Kartenqualität auch wirklich klasse. Ich mag einfach Karten aus Leinenpapier – die fühlen sich gut an und haben nicht nach drei Mal mischen angestoßene Ecken.
Mechanisch bietet „Dale of Merchants“ keine radikale Neuinterpretation der Deckbaumechanik, spielt sich aber sehr zügig und gefällig. Die verschiedenen Tierdecks kreisen alle um ein klar erkennbares Thema. Das zentrale Dilemma des Spiels besteht darin, dass ich die coolen Fähigkeiten der Tierkarten gerne möglichst oft zu meinem Vorteil nutzen möchte, ich aber auf der anderen Seite dazu gezwungen bin, sie für den Bau der Stapel in meinem Marktstand wieder aus dem Deck zu werfen. Die Frage ist also immer: was bringt mir jetzt mehr, noch einmal die Technik einer Karte nutzen, um mich so vielleicht schon auf den Bau höherwertiger Stapel vorzubereiten, oder sie auf der Stelle verbauen und somit auf die Fähigkeit verzichten.
Das Spiel gefällt mir auf jeden Fall. Es hat allerdings auch seine Probleme. Das Größte ist die Siegbedingung: „Dale of Merchants“ ist im Grunde ein Rennspiel. Baut ein Spieler den achten Stapel in seiner Auslage, endet das Spiel sofort und er gewinnt, ohne dass die Runde noch zu Ende gespielt werden würde. Da es aber auch keinen Malus für den Startspieler (oder umgekehrt: keinen Bonus für die späteren Spieler in der Zugreihenfolge) gibt, bedeutet das schlicht und einfach, dass der Startspieler die besten Siegchancen hat. Umgekehrt sieht es für den letzten Spieler in einer Runde zu dritt oder viert von vorne herein düster aus. Für mich ist „Dale of Merchants“ daher in erster Linie ein Zweispielerspiel, doch selbst da wurmt mich der Startspielervorteil ein wenig. Andererseits ist das Spiel mit nur zwei Spielern kurz genug, um nach der ersten Partie eben schnell eine Revancherunde zu spielen.
Mit der Einordnung des Spiels auf der Komplexitätsskala habe ich mich etwas schwer getan. Für erfahrene Spieler erscheint das Konzept „Deckbau“ mittlerweile ziemlich selbsterklärend. Dass dem nicht so ist, merkt man, wenn man versucht, in dieser Hinsicht völlig unbeleckten Wenigspielern „Dominion“ zu erklären. „Dale of Merchants“ ist zwar einerseits ein relativ einfaches Deckbauspiel, da die eigenen Kartenkombos meist nur sehr kurz währen. Andererseits gibt es aber immerhin sieben unterschiedliche Karten pro Deck. In einem Vierspielerspiel sind also immerhin 35 unterschiedliche Karten im Spiel, und vor allem die Chamäleon-Fraktion mit ihrem nichtoptionalen Kopieren anderer Karten ist doch schon recht komplex. Dass das Spiel leider nur in englischer Sprache erhältlich ist, sorgt für eine zusätzliche Einstiegshürde. Unterm Strich ist „Dale of Merchants“ für mich daher kein Familienspiel mehr, sondern wandert in die Kategorie „Kennerspiel“.
Wer Deckbauspiele mag und ohnehin hauptsächlich zu zweit spielt bekommt mit „Dale of Merchants“ ein flottes Kartenspiel im Hosentaschenformat mit wirklich charmantem Artwork. Ich bin jedenfalls froh darüber gestolpert zu sein und werde dieses Jahr in Essen auf die Jagd nach den hübschen Zweispieler-Spielmatten gehen.
Dale of Merchants von Sami Laakso, ein Spiel für 2-4 Spieler, englische Originalversion, erschienen 2015 bei Snowdale Design. Spielzeit: ca. 20-30 Minuten. Preis: ca. 20€.
Komplexität | Kennerspiel |
Wertung | – solide |